Bild: Exponat Bodenprofile, Leihgeber TU Berlin, S. Schwabe, 2020
Die „unterste Fläche von etwas”, eine „Grundlage”, ein „Gebiet” – wir kennen viele Bedeutungsdimensionen dessen, was wir Boden nennen. Die geläufigste von ihnen – wir sprechen dann umgangssprachlich von „Erde” oder „Erdreich” – meint die oberste, meist belebte Schicht der Erdkruste. Als Lebensraum zahlreicher Mikroorganismen und Umwandlungsprodukt mineralischer und organischer Substanzen ist Boden oder sein geologischer Fachbegriff, die Pedosphäre, von großem wissenschaftlichen Interesse diverser Forschungsbereiche. In ihren Eigenschaften, Spuren natürlichen und menschlichen Lebens zu archivieren, lassen sich Böden als kultur- und naturgeschichtliche Urkunden betrachten – die archäologischen Erkenntnisse über die Entwicklung unserer Spezies wären ohne sie nicht denkbar.
Boden besteht zu etwa 45% aus mineralischer und zu etwa 7% aus organischer Substanz, hinzu kommen etwa 23% Wasser und 25% Luft. Seine Entstehung, die Pedogenese, ist ein langer Prozess: Gestein verwittert zu mineralischen Bodenpartikeln unterschiedlicher Größe, die sich mit Wasser, Luft und zersetzten Bestandteilen von Pflanzen, Tieren und Menschen, dem Humus, zu einem Gemisch mit Hohlräumen verbinden. Damit eine ein Zentimeter dicke Bodenschicht entsteht, können zwischen 100 und 300 Jahre vergehen – die Entstehung der meisten unserer heutigen Böden liegt damit mehr als 10.000 Jahren zurück. Wegen seiner zentralen Schlüsselstellung in lokalen und globalen Stoffkreisläufen ist Boden ein wichtiger Teil unseres Öko- und Klimasystems. Zudem bilden Böden die Grundlage für mehr als 90% der weltweit produzierten Nahrung, doch die fruchtbaren Bodenflächen gehen weltweit mehr und mehr zurück. Weil Boden keine erneuerbare Ressource ist, ist er im deutschen Bodenschutzgesetz als zwingend schutzbedürftig definiert. Im Vergleich zu anderen Aspekten des Naturschutzes ist der Bodenschutz jedoch historisch jung – und nicht so populär wie etwa der Tier- und Pflanzenschutz.
Bild: Bodenlebewesen unter dem Mikroskop, J. Chollet
Denken wir an das Leben auf der Erde, fallen uns sofort die tierischen und pflanzlichen Bewohner*innen auf dem Land, im Wasser und in der Luft ein. Die beeindruckende Vielfalt an Lebewesen unter unseren Füßen vergessen wir dabei meist. Zu Unrecht! Denn auf einem Quadratmeter Boden lassen sich mit rund 2.000 Arten und 100.000 Individuen derart viele Lebewesen finden, dass Forscher*innen die dortige Biodiversität mit der in Regenwäldern oder Korallenriffs vergleichen.
Geolog*innen und Biolog*innen nennen die Gesamtheit aller im Boden lebenden Organismen Edaphon, welches in pflanzliche und tierische Bodenlebewesen unterteilt wird. Neben der sogenannten Mikro-, Meso- und Makrofauna, u. a. bestehend aus Bakterien, Pilzen, Algen und Einzellern sowie Amöben, Milben, Käfern und Insekten, finden im Boden auch Wirbeltiere wie etwa Maulwürfe, Wühl- und Spitzmäuse ein Zuhause.
In einem Edaphon, das unter optimalen Bedingungen arbeitet, hat jedes Lebewesen seine Aufgabe: Nachdem die größeren Lebewesen abgestorbenes Material aufgeschlossen haben, können die nächstkleineren eindringen und das Zellmaterial, oftmals in Symbiose mit Pilzen und Bakterien, zersetzen. Auf diese Weise entsteht aus organischem Material wie Pflanzenresten, Laub oder Tierkadavern Humus (Humifizierung) und aus diesem über weitere Abbauprozesse wieder Nährstoffe für Pflanzen (Mineralisierung). Unsere Böden nehmen damit eine unersetzbare Rolle in unserem Ökosystem ein.
Durch die zunehmende Bodenverdichtung, Versiegelung und landwirtschaftliche Bewirtschaftung des Bodens reduziert sich die Vielfalt des Edaphons – der Boden kann seinen Stoffwechselaufgaben nicht mehr adäquat nachkommen.
Bild: The Amazon in Brazil, J. Descloitres, MODIS Land Rapid Response Team, NASA/GSFC, 2005
Damit Pflanzen die Nährstoffe im Boden aufnehmen können, müssen diese durch Mikroorganismen freigesetzt werden – dieser Prozess heißt Mineralisierung. Dabei entstehen im Boden mineralische Endprodukte wie Kohlenstoffdioxid, Stickstoff, Phosphat und Wasser, die wiederum für pflanzliches Wachstum genutzt werden. Bereits seit Jahrtausenden greifen Menschen in den natürlichen Prozess der Nährstoffbildung ein, um die Fruchtbarkeit der Böden und ihr Nährstoffangebot für Nutzpflanzen zu verbessern und verwenden dafür Düngemittel wie etwa Tierfäkalien, Gesteinsmehle oder organische Abfälle.
Vor rund 200 Jahren begann die verstärkte Nutzung von anorganischem Mineraldünger, in welchem die düngenden Bestandteile in Form von Stickstoffverbindungen, Phosphaten und Kalisalzen vorliegen. Mineraldünger haben einen großen Produktivitätsfortschritt in der Landwirtschaft ermöglicht und werden heute sehr häufig eingesetzt – mit Folgen nicht nur für das Gleichgewicht der Ökosysteme, sondern auch des Klimas. Mineraldünger können zur Versalzung und Verdichtung der Böden beitragen und die osmotischen Prozesse sowie das Wachstum der Pflanzen stören. Besonders die extensive Nutzung von Stickstoffdünger ist zudem untrennbar mit dem Voranschreiten des Klimawandels verbunden, denn Stickstoffdünger wirkt sich auf das Bodenvorkommen von Kohlenstoffdioxid (CO2) und Distickstoffmonoxid (N2O), besser bekannt als Lachgas, aus. Aktuelle Forschungen zeigen, dass durch den Einsatz von Stickstoffdünger mehr Lachgas aus dem Boden austritt – ein bis zu 300-mal potenteres Treibgas als CO2, das sechs bis sieben Prozent zum weltweiten Treibhauseffekt beiträgt. Zudem speichern die weltweiten Böden mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und alle Bäume der Erde zusammen und könnten damit als Kohlenstoffsenke dem Klimawandel entgegenwirken – sofern sie verantwortungsvoll bewirtschaftet werden.
Bild: J. Kroon, 2014
Böden werden seit jeher für menschliche Zwecke genutzt. Mit dem weltweiten Bevölkerungswachstum und den damit verbundenen Anforderungen an Landwirtschaft, Infrastruktur und Wohnraum wird Boden zu einem knappen Gut, um das die unterschiedlichsten Interessen konkurrieren – und welches zunehmend bedroht ist. Der – zumeist irreversible – Verlust von Böden (Degradation) hat verschiedene Ursachen, die zu einem großen Maße in deren Nutzung durch den Menschen begründet liegen. Intensive Überweidung beschleunigt die Degradation von Böden, genauso wie Entwaldung, die Umwandlung von Grünland in Ackerland, der Abbau von Rohstoffen, die Verschmutzung durch Mikroplastik sowie der Straßen- und Siedlungsbau.
Über 80 % der Landesfläche Deutschlands wird land- und forstwirtschaftlich genutzt, und dies häufig mit zu kurzen Brachezeiten und unter hohem Einsatz von Düngemitteln und schweren Landmaschinen. Ein solcher, intensiv bearbeiteter Boden ist häufig versalzen und verdichtet, er kann Wasser schlechter aufnehmen – und ist der Abtragung durch Wind und Regen ausgesetzt (Erosion). In Deutschland geht jährlich fruchtbarer Boden in der Größenordnung von rund 10 t/ha durch Erosion verloren, während im gleichen Zeitraum höchstens 1 bis 2 Tonnen neu gebildet werden. So wird bei dem Bau von Straßen und Häusern nicht nur Boden versiegelt, sondern werden auch mit dem Aushub für Fundamente die wesentlichen Bodenschichten unwiederbringlich zerstört. Dem stetigen Verlust von Boden versuchen wir durch zunehmendes Landgrabbing und virtuelle Landimporte Herr zu werden. Handelt es sich bei ersterem um den Aufkauf von Böden in anderen Ländern, wird bei letzterem das für die Herstellung von international gehandelten Agrarprodukten benötigte Land indirekt mitgehandelt. Dieser Nettoimport von Boden steigt, auch in Deutschland: Unser Konsum landwirtschaftlicher Produkte beansprucht mehr Bodenressourcen, als wir zu Verfügung haben.
Bild: Plastik-Granulat am Strand, Wusel007, 2012
Boden und Plastik – bei dieser Verbindung denken wir vor allem an die zunehmende, unheilvolle Verschmutzung der Erdoberfläche durch Plastikmüll. Mehr als 300 Millionen Tonnen Kunststoff werden jährlich weltweit produziert. Im Jahr 2016 verursachten die Einwohner*innen Deutschlands rund 38 Kilogramm Plastikverpackungsabfälle pro Kopf und lagen damit im europäischen Vergleich auf dem dritten Platz. Auch bei der landwirtschaftlichen Bodennutzung wird viel Plastik verbraucht, unter anderem für sogenannte Mulchfilme, die die Böden vor Schädlingen und Kälte schützen sollen – und die nach einmaliger Verwendung entsorgt werden. Böden waren bis dato also eher die Leidtragenden als die Nutznießer unseres extremen Plastikverbrauchs.
Die Möglichkeit, bestimmte Kunststoffe auch für die Verbesserung von Böden zu nutzen, wird erst seit Kurzem diskutiert. Einem Forschungsteam gelang im Jahr 2018 erstmalig der Nachweis, dass im Boden lebende Mikroben fähig sind, den besonderen Kunststoff Polybutylenadipat-terephthalat, kurz PBAT, zu zersetzen und das darin enthaltene Kohlenstoff-Isotop 13C zu verwerten. In ihren Experimenten verwandelten die Pilze und einzelligen Mikroorganismen den Kohlenstoff im Zuge ihrer Atmung in Kohlenstoffdioxid und bauten ihn in ihre Biomasse ein. Ein erster Schritt hin zu plastikabbauenden Böden? Für die Forscher*innen zumindest bedeutet die Erkenntnis nicht nur eine mögliche Entlastung der Umwelt, sondern auch der Landwirtschaft, da Plastikrückstände im Boden zunehmend auch Pflanzenwachstum und Ernteertrag beeinträchtigen. Umgekehrt betrachten viele Forscher*innen die Innovationen im Bereich „abbaubares Plastik” als kritisch. Die berühmte kompostierbare Plastiktüte etwa verrottet weit langsamer als die sie umgebende Biomasse und wird bei der Müllentsorgung letztlich doch verbrannt.
Bild: Installation mit Hydrokulturen, S. Schwabe, 2020
Wie können wir den wachsenden Herausforderungen begegnen, die sich durch die Erosion und Degradation des Bodens, durch seine Versalzung, Verdichtung und zunehmende Nährstoffarmut für die Menschheit ergeben? Die Erprobung von Techniken und Verfahren, die nicht nur die Qualität unseres Erdbodens ökologisch nachhaltig verbessern, sondern die zuweilen auch ganz ohne Boden auskommen könnten, ist bereits in vollem Gange: Konzepte wie das der Hydroponik versprechen etwa, Nutz- und Arzneipflanzen sowie Kraftfutter ganz ohne Bodensubstrat in künstlichen Nährlösungen aufzuziehen.
Um die landwirtschaftliche Nährstoffnutzungseffizienz von Böden zu steigern, werden Organismen wie Mykorrhiza-Pilze oder Bonares Inplamint (dressierte Mikroben) eingesetzt, die Pflanzen in Wechselwirkung mit dem Boden gezielt mit Nährstoffen versorgen sollen.
Strengere Düngemittelverordnungen regeln die Zulassung und Kennzeichnung von Düngemitteln auf politischer Ebene und suchen die flächendeckende Nutzung von Stickstoffdüngung zu reduzieren. Die Vertreter*innen des Vertical Farming und Urban Farming erproben neue landwirtschaftliche Anbaumöglichkeiten auf geringsten Flächen unter Nutzung natürlicher Energieressourcen – sei es in gestapelten Etagenbeeten oder in der Integration in vorhandene Strukturen wie etwa Hochhäuser. Kritiker*innen dieser Anbaumethoden bemängeln jedoch, dass Böden in diesem Zusammenhang wieder nur in ihrer Funktion für die Nahrungsmittelproduktion betrachtet und ihre wichtige Rolle für den Erhalt der Ökosysteme vernachlässigt würde.
Doch es gibt auch Überlegungen, die weit über die Grenzen dieser Ansätze hinausweisen und die Verfügungsrechte über die lebenswichtige Ressource Boden als solche hinterfragen. Um den umfassenden Ökosystemleistungen von Böden Rechnung zu tragen, dürften diese – so beispielsweise Vertreter*innen der Commons-Forschung – nicht mehr als Spekulationsgut gehandelt werden, sondern als Gemeingut, das die Menschheit verantwortungsvoll nutzt und pflegt.